Die Gestaltgesetze sind Regeln der sogenannten Gestaltpsychologie oder allgemeiner der Gestalttheorie. Sie beschreiben grundsätzliche Besonderheiten der menschlichen Wahrnehmung, wie sie zum Beispiel für die beliebten optischen Täuschungen, die auf eine Vervollständigung eines Bildes durch das Gehirn setzen, relevant sind (z.B. das Kanizsa-Dreieck). Aber die Gestaltgesetze (oder Gestaltregeln) sind nicht nur für Spielereien mit solchen Täuschungen interessant, sondern liefern auch wichtige Hinweise für die Gestaltung unterschiedlichster Objekte von der Architektur über das Logodesign bis hin zu Softwareoberflächen. In dieser neuen Serie möchte ich deshalb einzelne Gestaltgesetze in loser Reihenfolge vorstellen und Beispiele für deren Anwendung geben.
Den Anfang macht das Gesetz der Prägnanz. Nach diesem zerlegt unser Gehirn wahrgenommene Objekte anhand prägnanter Merkmale in möglichst einfache Strukturen. Ein schönes Beispiel ist das am Artikelanfang gezeigte Bild. Das darauf dargestellte Objekt könnten wir ohne eine Strukturzerlegung kaum beschreiben, sofern uns nicht irgendetwas einfällt, dass genau diese Form hat. Aber dank der erwähnten Zerlegung sehen wir im obigen Bild einen Kreis und ein Rechteck, dass durch diesen Kreis hindurchgeht. Wir erkennen also zwei klare Formen, die es uns ermöglichen das gezeigte Objekt zu erfassen und zu beschreiben.
Mit einem kleinen Experiment kann sehr schön gezeigt werden, dass wir dazu neigen alle Objekte in möglichst einfache Strukturen zu zerlegen. Wir suchen uns eine Gruppe von Menschen und spielen mit ihnen eine Art visuelles Stille-Post-Spiel. Zunächst zeichnen wir von der Gruppe unbeobachtet eine ausgebeulte, kreisähnliche Gestalt, wie z.B. die Form 1 im linken Bild. Einen Teilnehmer lassen wir nun einen ganz kurzen Blick auf unsere Zeichnung werfen. Anschließend soll er das Gesehene selbst nachzeichnen und es dann dem nächsten Teilnehmer kurz zeigen. Dies wiederholen wir bis der letzte Teilnehmer das ihm gezeigte Bild nachgezeichnet hat.
Wir werden anschließend feststellen, dass sich die Form von Teilnehmer zu Teilnehmer vereinfacht hat. Durch die kurze Betrachtungszeit konnte kein Teilnehmer jedes Details erfassen und hat so die von ihm wahrgenommene Grundstruktur gezeichnet. Die linke Abbildung zeigt, wie sich beispielsweise aus unserem kreisähnlichen Gebilde nach und nach ein richtiger Kreis und damit eine „Gute Gestalt“ (good shape) entwickelt.
Aber wozu soll diese Erkenntnis gut sein? Das Gesetz der Prägnanz ist z.B. ein wichtiger Grundsatz des Logodesigns. Ein Logo muss nicht nur einprägsam sein, sondern auch über einen hohen Wiedererkennungswert verfügen. Beispielsweise sollte ein Kunde ein Produkt im Supermarktregal nicht lange betrachten müssen, um herauszufinden von welcher Marke es stammt. Dies wird durch klare Formen ermöglicht, die wir schnell wahrnehmen und einordnen können. Eine Verwendung stark verspielter Formen würde den Effekt deutlich mindern.
Somit mag das neue Logokonzept von AOL zwar innovativ sein, aber aus gestalttheoretischer Sicht ist es dem alten Logo aus einfachen Formen deutlich unterlegen.